Wenn der Anwalt plötzlich von der Klage abrät

In letzter Zeit häufen sich bei uns Anfragen von Anlegern, denen von ihrem ehemaligen Anwalt kurz vor Jahresende von der Erhebung einer Klage wegen angeblich fehlender Erfolgsaussichten dringend abgeraten wurde. Interessanterweise waren eben jene Anleger von diesen Anwälten zuvor angeschrieben worden, es waren ihnen die Erfolgsaussichten für die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen aufgezeigt und um die Erteilung eines Mandates geworben worden. Nachdem die Rechtsschutzversicherung Deckung zugesagt hatte, wurde mit einem wenig individuellen Standardschreiben der Gegner angeschrieben und das Honorar gegenüber der Rechtsschutzversicherung abgerechnet. Und danach geschah erst einmal nichts.

So wie im Fall von Herrn O., der zwar über die konkret drohende Verjährung seiner Schadenersatzansprüche von seinem ehemaligen Anwalt nicht aufgeklärt worden war, aber grundsätzlich wusste, dass zum Jahresende Ansprüche verjähren können. Er insistierte bei seinem Anwalt, dass endlich Klage eingereicht werden solle. Dieser verwies dann völlig überraschend auf die fehlenden Erfolgsaussichten einer Klage und lehnte die Klageerhebung ab.

Anwaltsfehler

Als Herr O. dann unsere Kanzlei kontaktierte, mussten wir ihm mitteilen, dass die Schadenersatzansprüche wegen seiner Fondsbeteiligung bereits während der Beauftragung der anderen Kanzlei verjährt sind. Unsere gründliche Prüfung ergab, dass Herr O. nicht ausreichend hinsichtlich des seinerzeitigen Inhalts der Anlageberatung von den Anwälten befragt wurde (unterbliebene Sachverhaltsaufklärung). Hinzu kommt, dass der Prospekt des Fonds, der zahlreiche Fehler aufweist, nicht geprüft und die Prospektfehler nicht mit dem Mandanten besprochen wurden. Eine Schadenersatzklage gegen die den Fonds vermittelnde Bank hätte, so das Ergebnis unserer Prüfung, durchaus Aussicht auf Erfolg gehabt.

Anwaltshaftung

Herr O. hat uns nun beauftragt, Schadenersatz gegen seinen ehemaligen Anwalt unter dem Gesichtspunkt der Anwaltshaftung geltend zu machen. Für die Bejahung der Anwaltshaftung sprechen die unzureichende Sachverhaltsaufklärung, die unterbliebene Information des Mandanten über die Verjährung von Schadenersatzansprüchen und die unterlassene Einleitung von Schritten zur Hemmung der Verjährung der Ansprüche.

Der Fall von Herrn O. ist kein Einzelfall. Uns erreichen täglich Anrufe von Anlegern, denen Ähnliches widerfahren ist:

  • Zunächst wurden die Anleger unaufgefordert angeschrieben und unter Verweis auf gute Chancen für die Durchsetzung von Schadenersatzansprüche zur Mandatserteilung aufgefordert.
  • Das außergerichtliche Mandat wurde ohne gründliche Erforschung der Umstände der konkreten Anlageberatung und ohne näheres Eingehen auf den Einzelfall im Aufforderungsschreiben bearbeitet.
  • Dann hörten sie nichts mehr von ihrem Anwalt bzw. es wurde ihnen nach der Erwiderung der Gegenseite mitgeteilt, dass die Sache nun doch keine Aussicht auf Erfolg hätte.

Angesichts der Zahl der Anfragen drängt sich der Verdacht auf, dass es sich hierbei um eine Strategie handelt, leicht und schnell (quick and dirty) außergerichtlich zu bearbeitende Fälle einzuwerben und die Mandanten dann, wenn die Bearbeitung aufwändig wird wie bei einem Klageverfahren üblich, „im Regen stehen zu lassen“. Ein solches Verhalten begründet in der Regel Schadenersatzansprüche der Mandanten gegen ihren ehemaligen Anwalt unter dem Gesichtspunkt der Anwaltshaftung.